Anti-Kurdische Diskriminierung in Berlin/Deutschland

Die kurdischen Communities stellen in ihrer Gesamtheit, mit all ihrer Vielfalt und Unterschiedlichkeit, eine der größten gesellschaftspolitischen Gruppen in Berlin dar. In Ermangelung verlässlicher Daten schwanken die Schätzungen; vorsichtige Schätzungen bewegen sich jedoch zwischen 100.000 und 150.000 Personen, womit die Größe der Bevölkerung mit anderen großen Gemeinschaften wie der türkischen, arabischen, polnischen und der ehemaligen Sowjetgruppe in der Stadt vergleichbar ist. Da die Mitglieder der kurdischen Gemeinschaften in offiziellen und administrativen (z.B. Schul-) Zählungen jedoch nicht als Kurd*innen, sondern nur durch die jeweiligen Herkunftsstaaten (Türkei, Iran, Irak, Syrien etc.) repräsentiert werden, gibt es keine offiziellen Daten, auf die man sich beziehen könnte. Daraus ergibt sich eine exorbitant hohe Komplexität, wenn es um kurdisches Leben, soziale Interaktion, Schulbildung, Beschäftigung, politische Partizipation, Sprachgebrauch usw. geht – nicht nur in Berlin, sondern auch in anderen deutschen und europäischen Städten. Umfassende wissenschaftliche Untersuchungen zu dieser Komplexität gibt es jedoch kaum, und dies gilt insbesondere für die kurdischen Gemeinschaften in Berlin. Infolgedessen besteht ein großer Mangel an Wissen über das soziale und sprachliche Profil kurdischer Personen sowie über die Probleme und Diskriminierungen, mit denen die kurdischen Gemeinschaften beim Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen, soziokulturellen Aktivitäten, politischer Partizipation und Organisation konfrontiert sind, und wie sie auf die deutsche Integrationspolitik reagieren. Infolgedessen werden die kurdischen Gemeinschaften invisibilisiert und bei der Politikgestaltung und -umsetzung weitgehend ignoriert, was zu einer Diskriminierung der Kurd*innen in der Stadt führt. 

Davon ausgehend hat Yekmal (Verein der Eltern aus Kurdistan in Deutschland) als zivilgesellschaftliche Organisation, die eng mit den kurdischen Communities in Berlin zusammenarbeitet, eine Untersuchung durchgeführt, um die soziale und sprachliche Situation der heterogenen kurdischen Communities in Berlin zu ergründen. Im Rahmen der Untersuchung wurden auch die Wahrnehmungen der Mitglieder der kurdischen Gemeinschaft zum Thema Diskriminierung erfragt. Die Ergebnisse der von insgesamt 522 Personen erhobenen Daten werden im Folgenden vorgestellt. 



Zusammenfassung der Ergebnisse

  • 59,7 % der Teilnehmer*innen fühlen sich manchmal (42,9 %) oder oft (16,8 %) diskriminiert; nur 17,6 % haben sich noch nie diskriminiert gefühlt.
  • Die Frauen fühlen sich insgesamt weniger diskriminiert.
  • Die Wahrnehmung der Diskriminierung unter Alevit*innen/Qizilbaşs und Êzidî ist deutlich höher als bei sunnitischen Muslim*innen.
  • 64,9 % der Teilnehmer*innen fühlen sich aufgrund ihres Migrationshintergrundes diskriminiert.
  • Die kurdische Identität ist der zweitgrößte Grund für Diskriminierung (52,6 %).
  • Ein Viertel der Teilnehmer*innen fühlt sich aufgrund ihrer religiösen oder politischen Ansichten diskriminiert, 23,3 % bzw. 22,3 %.
  • 73,1 % der Teilnehmer*innen fühlen sich von den Deutschen und 58 % von den Türken diskriminiert.
  • Straßen sind nach Ansicht vieler Teilnehmer*innen (52 %) die Orte, wo die meiste Diskriminierung stattfindet. Schulen (40,1 %), öffentliche Verkehrsmittel (36,6 %), öffentliche Ämter (33,4 %) und der Arbeitsplatz (26,3 %) sind die anderen wichtigen Orte, an denen die Teilnehmer*innen angeben, dass sie sich einer Diskriminierung ausgesetzt sehen.
  • Die Frauen fühlen sich in Schulen und Krankenhäusern stärker diskriminiert.
  • Die Teilnehmer*innen aus der Türkei/Bakur nehmen in allen Kategorien deutlich mehr Diskriminierung wahr als die Teilnehmer*innen aus den anderen Regionen. 
  • Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die sich schon länger in Berlin aufhalten, nehmen mehr Diskriminierung wahr als diejenigen, die vergleichsweise kürzer in Berlin sind.

Diskussion und Richtlinienempfehlungen

Die Ergebnisse dieser Untersuchung liefern wichtige Informationen sowohl für die regionalen und föderalen Regierungsstellen, Institutionen, Communities, Schulen als auch für die Organisationen der Zivilgesellschaft. Auf Grundlage dieser Ergebnisse können die folgenden Diskussionen und Politikvorschläge gemacht werden:

Sammlung ethnolinguistischer Daten: Die Europäische Union verbietet die Diskriminierung aufgrund der Rasse und der ethnischen Herkunft in den Bereichen Beschäftigung, Sozialschutz, einschließlich der sozialen Sicherheit und der Gesundheitsfürsorge, sowie die Hindernisse zum Zugang zu sozialen Vergünstigungen und Bildung. Wenn jedoch ethnolinguistische Daten nicht in kohärenter und umfassender Weise erhoben werden, bleiben die Maßnahmen zur Bekämpfung von Diskriminierung und Ungleichheit wirkungslos. Dies gilt insbesondere für die Situation der kurdischen Community in Deutschland. In Ermangelung zuverlässiger Daten, die von der Regierung und den öffentlichen Einrichtungen erhoben werden, ist nicht bekannt, wie die kurdischen Gemeinschaften von der staatlichen Politik und den öffentlichen Diensten betroffen sind und was sie über all diese Faktoren denken. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, getrennte Statistiken über die ethnolinguistischen Gruppen wie Kurden und andere nichtstaatliche Gemeinschaften zu führen.

Kurdische Sprachen im öffentlichen Raum: Viele der Publikationen, Broschüren und Informationsschilder, die von den staatlichen Stellen herausgegeben werden, sind in mehreren Sprachen verfasst. Als Sprache einer der größten ethnolinguistischen Gemeinschaften in Berlin sollte auch Kurdisch zu den in diesen Publikationen verwendeten Sprachen gehören, um eine der größten Migrant*innengruppe in Berlin besser zu erreichen.

Kurdisch in Schulen: Wenn man bedenkt, dass die kurdische Bevölkerung in Berlin mehr als 100.000 Menschen umfasst, ist es wahrscheinlich, dass die Zahl der Schüler*innen mit kurdischem Hintergrund in den Schulen, insbesondere in Neukölln, Kreuzberg, Wedding und Tempelhof, ebenso sehr hoch ist. Deshalb sollte der Berliner Senat eine konsequente Strategie für die Aufnahme des Kurdischunterrichts an möglichst vielen Schulen entwickeln. Diese Strategie sollte nicht nur den Unterricht des Kurdischen in den Schulen umfassen, sondern auch die Erleichterung der Einrichtung deutsch-kurdischer zweisprachiger Schulen und die Produktion von pädagogischen Materialien in kurdischer und deutscher Sprache.

Sendungen in kurdischer Sprache: Das Land Berlin sollte Rundfunksendungen in kurdischer Sprache in den öffentlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten einführen. Dies sollte alle Arten von verschiedenen Programmen umfassen: Filme, Musik, sprachbezogene Produktionen, Nachrichten und Kulturprogramme, die sowohl für Erwachsene als auch für Kinder zugeschnitten sind.

Unterstützung der kurdischen Dialekte: Nicht nur das Kurmancî-Kurdisch, sondern auch die kurdischen Dialekte Kirmanckî/Zazaki und Sorani sollten in den öffentlichen Ämtern und im öffentlichen Raum gefördert werden. Es ist besonders wichtig, eine sensible Politik in dieser Hinsicht zu entwickeln, um integrativer und partizipativer zu sein.

Angebot von Kurdischunterricht für Erwachsene: Da der überwiegenden Mehrheit der Kurd*innen das Recht auf Bildung in ihrer Muttersprache vorenthalten wurde, gibt es viele, die entweder überhaupt kein Kurdisch sprechen oder keine Lese- und Schreibkenntnisse in Kurdisch haben, selbst wenn sie es sprechen können. Die Ergebnisse der Umfrage zeigen deutlich, dass dies insbesondere für die Situation jener Kurd*innen gilt, die aus der Türkei nach Deutschland eingewandert sind. Mit anderen Worten: Die kurdischen Menschen aus Bakur, deren Herkunftssprache entweder Kurmancî oder Zazaki ist, sind stärker von der Assimilationspolitik der Türkei beeinflusst worden. In Anbetracht der entscheidenden Rolle der Herkunftssprachen für die Entwicklung des sozialen Zusammenhalts im Einwanderungskontext sollte das Land Berlin kostenlose kurdische Sprachkurse in Volkshochschulen fördern oder zivilgesellschaftliche Organisationen unterstützen, die solche Kurse anbieten wollen.

Unterstützung und Finanzierung kurdischer Organisationen der Zivilgesellschaft: Die Anzahl der zivilgesellschaftlichen Organisationen, die speziell für und mit der kurdischen Community in Berlin arbeiten, ist sehr begrenzt und ihre Chancen auf finanzielle Unterstützung und Mittel sind äußerst begrenzt. Folglich ist die Beteiligung der Kurd*innen an sozialen, kulturellen und politischen Aktivitäten in Berlin sehr gering. In Anbetracht der Größe der kurdischen Bevölkerung sollte die Berliner Regierung die Gründung neuer kurdischer zivilgesellschaftlicher Organisationen fördern, die auf soziale und kulturelle Partizipation hinarbeiten. Darüber hinaus sollte die Berliner Regierung die neuen und bestehenden Organisationen finanziell unterstützen, damit mehr Kurd*innen von ihren Diensten profitieren können.

Einrichtung einer Abteilung für kurdische Sprache und Literatur an einer öffentlichen Universität: Berlin ist ein wichtiger Wissenschaftsstandort. Die hohe Zahl der Universitäten ist von Vorteil, um eine öffentliche Universität in Berlin seitens des Berliner Senats mit der Aufgabe zu betrauen, ein Bachelorstudiengang und/oder ein Graduiertenprogramm zu starten, das sowohl kurdische als auch nicht-kurdische Studenten, die an kurdischer Sprache, Literatur, Kultur und Geschichte interessiert sind, integriert. Dazu sollte die Aufnahme eines Lehrerbildungsprogramms für den Unterricht von Kurdisch als Muttersprache gehören.

Entwicklung spezifischer Aktivitäten und Dienstleistungen für die kurdischen Frauen: Wie die Ergebnisse zeigen, nehmen kurdische Frauen nur selten an den Aktivitäten von Organisationen der Zivilgesellschaft oder an den von den öffentlichen Ämtern angebotenen Dienstleistungen teil. Die Gründe dafür müssen gründlich gesucht, konkrete Wege der Einbeziehung spezifiziert und ein Umsetzungsplan erstellt werden, um Möglichkeiten zu schaffen, dass die kurdischen Frauen von verschiedenen Aktivitäten und Dienstleistungen in Berlin profitieren können.

Verbesserung der Regelungen und Bedingungen für die kurdischen Asylsuchenden und Geflüchtete: Die kurdischen Asylsuchenden und Geflüchtete haben neben verschiedenen Problemen und Schwierigkeiten, denen sie ohnehin aus anderen Hintergründen ausgesetzt sind, zusätzliche Schwierigkeiten, weil sie nicht als Kurd*innen, sondern als Türk*innen, Araber*innen oder Perser*innen anerkannt werden. Zu diesem Zweck wird ihnen in der Regel die Verwendung ihrer eigenen Sprache während und nach dem Antragsverfahren vorenthalten. Daher sollte eine Strategie entwickelt werden, um die Regelungen zu erleichtern und die Bedingungen für kurdische und andere Asylsuchende und Geflüchtete in ähnlichen Situationen zu verbessern.

Anerkennung der im Herkunftsland erhaltenen beruflichen Zertifikate und Diplome: Viele Teilnehmer*innen der Befragung betonten, dass sie mit erheblichen, teilweise bürokratischen Schwierigkeiten bei der Anerkennung ihrer Berufsabschlüsse und/oder Diplome in Deutschland konfrontiert sind. Daher war die Anerkennung ihrer Dokumente eine der am häufigsten genannten Forderungen der kurdischen Befragten in Berlin.

Durchführung von akademischer Forschung: Wie bereits erwähnt, gibt es weder in Berlin noch in Deutschland ein öffentliches Forschungsinstitut oder eine Universitätsabteilung, die sich auf verschiedene Aspekte der kurdischen Gemeinschaften konzentriert. Infolgedessen gibt es nur sehr wenig akademische Forschung, die in die Politikgestaltung und die öffentlichen Dienste einfließen kann. Um diese Lücke in der Wissenschaft zu schließen, sollten Wissenschaftler*innen und Forschende, die umfassende Forschung über Kurd*innen im Migrationskontext betreiben wollen, sowohl vom Land als auch von der Berliner Regierung, der Wissenschaft und den Förderorganisationen ermutigt und unterstützt werden.

Beseitigung der mehrschichtigen Diskriminierung: Aus den Ergebnissen wird klar ersichtlich, dass sich viele der Kurden in Berlin diskriminiert fühlen. Die Gründe und Ursprünge der Diskriminierung sind ebenso unterschiedlich wie der Kontext, in dem sie stattfindet. Das heißt, die Diskriminierung von Kurd*innen in Berlin ist komplex und findet auf verschiedenen Ebenen statt. Häufig führen rechtliche Einschränkungen zu massiven Verletzungen der Grundrechte beim Zugang zu Bildung, Arbeitsmarkt, Wohnraum und Gesundheitsversorgung. Der Abbau diskriminierender Gesetze ist notwendig, um diesen Einschränkungen entgegenzuwirken. Um die diskriminierenden Praktiken und Diskurse gegenüber den Kurd*innen zu beseitigen, sollte die Berliner Regierung daher mehr finanzielle Mittel für die Integrationspolitik und die soziale Eingliederung der Kurd*innen in eine “Aufnahmegesellschaft” bereitstellen, die insbesondere mehrfach diskriminierte Migrant*innengruppen in Berlin einschließt.